Autor: Ingo Kruck
Los ging es am Samstag um 08:15 Uhr im Süden Bozens an einem Pendlerparkplatz mit Anschluss an das Wegenetz zwischen Bozen und Brixen. Wir haben uns gegen einen hohen Trailanteil entschieden, weil dieser Höhenmeter im Bereich von etwa 2000 pro Tag bedeutet hätte, dafür aber etwa 15km weniger. Die Auswahl an passenden Trails ist schwierig, die Höhenmeter steigen hier schnell ins Bereiche, die mit dem FKT nicht zusammenpassen, also wählten wir die längere und flachere Lösung.
Die erste Erkenntnis folgte bei mir bereits nach wenigen hundert Metern: zu viel Bewegung im Rucksack. Die 11kg bedeuten im Lauf starke Schmerzen an den Schultern. Blöderweise hatte ich vorab nur mit deutlich weniger Gewicht getestet und auch nur im heimischen Garten. Jens mit gleichem Rucksack und sogar etwas mehr Gewicht hatte deutlich weniger Bewegung im Rücken, spürte das Gewicht aber ebenso an den Auflagepunkten. Learning 1: die Lauftechnik ist ein wesentlicher Faktor, um mehr Ruhe in den Lauf zu bringen. Für einige Kilometer experimentierten wir unter gleißender Sonne bei 25 Grad, durchquerten Bozen und bekamen von einem Rennradfahrer Prügel angedroht, der unsere angeregten Diskussionen unterwegs irgendwie auf sich bezogen hatte. Wir kamen ohne Schlägerei davon. Verrückt.
Während es immer heißer wurde und die Schmerzen an Schulter und Nacken immer stärker, näherten wir uns dem ersten Videodreh des Tages an einer historischen Stahlbrücke im Eisacktal, wo Videofilmer Benni bereits sein komplettes Kameraequipment mit zwei Drohnen, Gimbals und Kameras für uns aufgebaut hatte. Eine willkommene Abwechslung mit ein paar tollen Aufnahmen auf der Brücke. Wir nutzen die Gelegenheit, um auch gleich die beiden Kocher auszupacken und uns mit den gefriergetrockneten Mahlzeiten von Sponsor Trek 'N Eat zu versorgen. Kurz darauf ging es weiter an der Eisack entlang in Richtung Brixen. So langsam merkten wir hier bereits sehr deutlich, dass das hohe Gewicht uns muskulär komplett anders belastet als gewohnt und wir nach dem ersten 30 Kilometern mit Problemen zu kämpfen haben, die ansonsten gar nicht auftauchen oder erst bei Kilometer 70 und aufwärts. Faszien und Achillessehne, Gelenke, die Hüfte - volles Programm, ganz zu schweigen von der Hauptbaustelle Schultern. So langsam wurde aus dem Testrun ein Folterlauf.
Die Katastrophennacht an der Franzenfeste
Über die Trails südlich von Aicha ging es nun durch die Botanik in Richtung Franzenfeste und jeder öffentliche Brunnen oder Kinderspielplatz mit Wasserspender wurde zum willkommenen Zwischenziel. Wie oft wir unsere Mützen durchtränkt haben um mehr Kühlung an den Kopf zu bekommen, ist kaum zählbar. Immerhin - Südtirol hat zahllose Wasserspender mit exzellentem Trinkwasser und man kann sich darauf verlassen auf ausgewiesenen Fernrouten Wasser vorzufinden. Irgendwann wurde die Festung sichtbar und mit ihr auch die letzten Höhenmeter hinauf die wir eigentlich so gar nicht mehr brauchen konnten. Am Fuße der Festung wartete erneut Benni auf uns und begann mitsamt seinem Equipment den Aufstieg über die Waldtrails zur Festung. Denn dieser Tag war noch nicht vorbei, 20:30 Uhr hin oder her. Es fehlten noch Videoaufnahmen vom Zeltaufbau, dem Kochen und einige Heroshots von uns. Die Motivation dafür lag bei ziemlich exakt Null. Nach 65 km erreichten wir unser Ziel etwas oberhalb der Festung mit Bergwasser, Bänken und Tischen - in Hörreichweite der Autobahn in Richtung Brenner. Das sollte sich noch rächen.
Tag 2 - Südtirol mit einer Luftfeuchte wie im Regenwald
Dass der Trail Addict Pro-R von Joe Nimble auf rutschigen Trails mehr als zuverlässig Traktion liefert, wussten wir. Das funktioniert auch mit schwerem Gepäck und schnellen Richtungswechseln, es gab also nicht nur negative Erfahrungen. Dennoch mussten wir beide feststellen, wie sehr uns der Vortag mitgenommen hat. Wenig Kraft und Motivation, Rücken und Schultern stark gezeichnet vom schweren Rucksack und eine herannahende, sehr dunkle Wolkenwand, die schon vermuten ließ, dass es nicht mehr lange trocken bleibt - so begann der Lauf zurück.